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ORF: Die große Chance - oder die letzte?

Beate Meinl-Reisinger
Beate Meinl-Reisinger

Österreichs demokratische Institutionen sind in einer tiefen Vertrauenskrise. Für den ORF wird die Loslösung aus der politischen Umklammerung dabei zu seiner Überlebensfrage.

Weniger als ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher meint, dass die heimische Berichterstattung frei von politischem Einfluss ist. Das sagt uns der Digital News Report 2022. Allein für sich genommen, ist das schon alarmierend genug. Doch der Bericht liefert noch mehr schlechte Neuigkeiten – vor allem für Österreichs größtes Medienhaus. Die ORF-Nachrichten haben unter den klassischen Medien zwar weiterhin die höchsten Vertrauenswerte. Doch zeigt der Trend bei allen Nachrichtenhäusern klar nach unten. Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat die niedrigsten Werte seit Erhebungsbeginn.

Die Vorzeichen für die Zukunft sind denkbar schlecht. Die strukturelle Korruption und die ewigen Skandale in unserem Land haben das Vertrauen in die demokratischen Institutionen erschüttert. Das zeigen Umfragen wie der kürzlich veröffentlichte Demokratie Monitor von SORA. Für den ORF heißt es dabei: Mitgefangen, mitgehangen. Chats zwischen Politikern und Journalisten, geheime Sideletter der Regierung, ein politisch besetzter Stiftungsrat als oberstes Entscheidungsgremium. Die enge parteipolitische Umklammerung ist für den ORF mittlerweile zur untragbaren Belastung geworden – und die Befreiung daraus zur Überlebensfrage.

Nun sieht sich der ORF ab 2024 in der „größten Finanzierungskrise“ seiner Geschichte. Das mag stimmen, doch geht es vielen Unternehmen derzeit so und mehr Geld löst nicht das eigentliche Problem.

Wie will man der Bevölkerung denn erklären, dass der Staat oder die Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler mehr Geld für den ORF ausgeben sollen, wenn nur ein Viertel der Menschen glaubt, dass die Berichterstattung im Land frei von politischer Einflussnahme ist? Die Antwort ist: Gar nicht.

Bevor also die Finanzierungskrise des ORF gelöst wird, muss zunächst die Vertrauenskrise, die längst schon in eine Daseinsberechtigungskrise ausartet, gelöst werden.

Ohne die Fragen: Wozu ein ORF und was soll er können dürfen, bleibt es bei der Einzementierung des Status quo. Und das heißt: ein ORF in den Fängen parteipolitischer Einflussnahme, ein Stiftungsrat in den Fängen der Mehrheitsparteien, immer weiter sinkendes Vertrauen. Es muss klar sein: Keine Reform, kein zusätzliches Geld!

Die Lösungen liegen auf dem Tisch. Vor fast zehn Jahren gab es im Standard einen interessanten Vorstoß von Armin Wolf, wie man eine ORF-Reform vorantreiben könnte. Die Idee: Bürgerräte, die per Los zusammengesetzt werden, sollen über einen neuen Modus für die Aufsicht des ORF beraten und entscheiden. Das Parlament solle diesen Vorschlag dann – nach Beratung – in ein Gesetz gießen.

Der ehemalige Standard-Chefredakteur, Gerfried Sperl, kritisierte Wolf daraufhin in einer Kolumne. Sein Vorschlag sei eine Abkehr vom Parlamentarismus. Auch ich habe mich damals geäußert und sage noch heute: Dieses Art des Denkens hat uns früher nicht weitergebracht und wird es auch heute nicht tun. Denn die Bevölkerung käme hier definitiv rascher zu Reformvorschlägen als die Parteien.

Einerseits gilt das für die Gremienreform. Wir NEOS fordern seit Jahren die Auflösung des Stiftungsrats mit seinen politischen „Freundeskreisen“. Stattdessen soll eine Hauptversammlung einen unabhängigen Aufsichtsrat wählen, der wiederum einen mehrköpfigen Vorstand bestellt. Diese Hauptversammlung setzt sich zusammen aus gelosten Personen aus der Bevölkerung und Institutionen der Zivilgesellschaft. Wir orientieren uns dabei an den Governance-Maßstäben des Aktiengesetzes.

Bleiben die Fragen: Was ist Public Value? Was soll der ORF können und was nicht? Das muss die Politik als Gesetzgeber im offenen Austausch mit der Bevölkerung festlegen. Es wäre absurd, über die künftigen Inhalte und vor allem auch die Frage der rechtlichen Schranken des größten Medienhauses des Landes zu entscheiden, ohne das Publikum hier einzubinden.

Das Ziel dieser Maßnahmen ist klar: Das Vertrauen und die Relevanz des ORF langfristig stärken. Das ist der NEOS-Vorschlag. Der ORF soll digital ins 21. Jahrhundert gehen können mit einem geschärften Auftrag für öffentlich-rechtliche Inhalte. Er kann und muss ein Bollwerk des Vertrauens sein gegen Fake News und „Haltungsjournalismus“. Und vor allem kann und muss er ferner und freier von parteipolitischem Einfluss aufgestellt sein. Dann und nur dann kann und muss er dafür solide finanziert werden.

Die Bundesregierung allerdings verweigert jede Debatte. Eine ORF-Gremienreform stehe nicht im Regierungsprogramm. In Wahrheit ist es doch so: Die ÖVP will ihren Einfluss behalten, die Grünen blenden die Frage des Vertrauensverlusts aus. Die SPÖ lechzt danach, wieder selbst stärkeren parteipolitischen Einfluss zu bekommen und die FPÖ will den ORF gar nicht.

Fast zehn Jahre ist es her, dass ich mich das letzte Mal zu dieser Sache in einem Gastbeitrag für den Standard geäußert habe. Es muss das letzte Mal gewesen sein, denn weitere zehn Jahre hat der ORF nicht. Ich habe große Sorge, dass der Stillstand und Reformunwille der Regierung(en) nur zu einem führen wird: einer immer stärkeren Bedeutungslosigkeit des ORF. Und wer weiß, was zukünftige Regierungsmehrheiten bringen? Ein entpolitisierter, neu aufgestellter, Public Value-orientierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk – das ist jetzt DIE große Chance, die wir in dieser Vertrauenskrise haben. Die Verbündeten sind die Bürgerinnen und Bürger. Holen wir sie an Bord! Es könnte auch die letzte Chance für den ORF sein.

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