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Freiheit ist kein Privileg

Ein gutes Jahr nach dem ersten „Lockdown“ gingen am Montag Verhandlungen über mögliche weitere Beschränkungen der Freiheit oder Verlängerung schon bestehender Maßnahmen ergebnislos zu Ende. Entscheidungen ankündigen, dann aber nicht treffen: das ist das schlechteste Ergebnis, das erreicht werden konnte. Das sorgt nicht für Planbarkeit und so wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Krisenmanagement der Regierung weiter geschwächt.

 

Am gleichen Tag präsentierten NEOS zum dritten Mal die Ergebnisse des jährlich erhobenen Freiheitsindex, der selbstverständlich 2020/2021 sich ebenfalls dem Schwerpunkt Corona widmet. Das Ergebnis in aller Kürze zeigt, dass die Menschen in Österreich sehr wohl ein Verständnis dafür haben und hatten, dass Freiheiten eingeschränkt werden, wenn dies notwendig ist. Im Zeitverlauf ist die Akzeptanz der Maßnahmen aber stark gesunken.

Wenig überraschend: Die, die besonders durch die Maßnahmen ökonomisch oder psychisch besonders betroffen sind, fühlen sich auch stärker in ihrer Freiheit beschränkt. Was aber wie eine No-Na Erkenntnis wirkt, muss aber doch deutlich betont werden. Die Krise trifft eben nicht alle gleich, sondern asymmetrisch: Menschen, die ihren Job verloren haben aufgrund der Maßnahmen, Selbständige aber auch Jüngere sind deutlich mehr betroffen und damit auch deutlich mehr in ihren Freiheiten beschränkt. Anders gesagt: während die unmittelbaren Folgen von COVID, also schwere Krankheit und Tod, vermehrt Ältere betreffen, treffen die indirekten Schäden auch und gerade durch Lockdown Maßnahmen Jüngere, Selbständige oder Arbeitnehmer_innen in betroffenen Branchen.

Niemand sollte auf die Idee kommen, deswegen Gruppen gegeneinander auszuspielen. Aber klar ist auch, dass der Diskurs, welche Maßnahmen es braucht im Sinne einer Balance und Ausgewogenheit aller Folgen (letztlich aller gesundheitlichen Folgen auch durch psychische Auswirkungen, Pleiten oder Arbeitslosigkeit) nicht von denen allein geführt werden dürfen, die kaum ökonomische Folgen zu befürchten haben.

Zweitens zeigt der Freiheitsindex sehr klar, dass es zu einer immer größeren Polarisierung in der Bevölkerung kommt. So stiegen die Werte einerseits derjenigen, die angaben, Medien und Opposition sollten sich in Krisenzeiten mit ihrer Kritik an der Bundesregierung zurücknehmen von 2020 auf 2021 ebenso wie die Gegner einer solchen Haltung.

 Die Pandemie ist also eine demokratische Zumutung, die liberale Demokratien besonders fordert die richtigen Maßnahmen in der richtigen Balance basierend auf den richtigen Gesetzen in der richtigen Intensität zu setzen.

Genau diese Diskussion aber müssen wir uns zuMUTEN. Viel zu Grundsätzliches steht am Spiel, das noch weit über die unmittelbare Dauer der Coronakrise hinaus nachhallen wird.

Zu dieser grundsätzlichen Diskussion gehört auch ein ganz wesentliches Prinzip: nicht die Beschränkung der Freiheit kann der Normalzustand sein und Freiheit das Privileg, sondern umgekehrt. Ein Blick auf manche Schlagzeile macht deutlich, wie dringend dies geradegerückt werden muss. Da ist von Privilegien für Geimpfte die Rede, wo es simpel um an sich selbstverständliche Grundrechte gehen muss. Privilegien, so scheint es, kann man nach Belieben auch wieder entziehen.

Beschränkungen aber müssen gerechtfertigt sein, nicht die Freiheit. Wie werden sehen, wie der Verfassungsgerichtshof mit der Individualbeschwerde von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern im Rahmen der Florestan Initiative (www.florestan.at) umgehen wird. Genau mit diesen Fragen nach der Abwägung, Differenzierung und Verhältnismäßigkeit haben sich die Kulturschaffenden an den VfGH gewandt.

Um mich nicht falsch zu verstehen: Es braucht Maßnahmen. Kein denkender und mitfühlender Mensch darf zulassen, dass sich das Virus ungehindert verbreitet und so viele Menschen gleichzeitig erkranken, dass Gesundheitssysteme zusammenbrechen und viele Menschen sterben müssen. Nach einem Jahr der Pandemie ist es schlichtweg inakzeptabel, wie undifferenziert Bereiche geschlossen sind. Nach einem Jahr Pandemie ist es schlichtweg inakzeptabel, dass die einzige Phantasie mancher in Zu- und Aufsperren besteht.

Es ist Zeit, endlich neue Konzepte der Pandemie-Bekämpfung umzusetzen. Mit dem Weg des Testens bis endlich ausreichend Menschen in Österreich geimpft sind hat Österreich den richtigen Weg eingeschlagen. Den muss man jetzt konsequent fortsetzen. Ein Theaterbesuch mit reduzierter Kapazität, bei dem alle Besucher aktuelle Tests vorweisen müssen, wird aus Sicht der Regierungsmaßnahmen nach wie vor mit einem dichtgedrängten Konzert in einem Nachtclub gleichgesetzt: Beide sind untersagt. Obwohl wir mittlerweile unter Einbindung der Opposition im Nationalrat die gesetzliche Basis für Eintrittstests geschaffen haben, kommen diese noch nicht dort zum Einsatz, wo sie am reibungslosen umzusetzen wären: Gerade bei Kulturveranstaltungen mit zugewiesenen Sitzplätzen können Tests so einfach kontrolliert werden wie Eintrittskarten und die Ansteckungsgefahr der Veranstaltungen auf ein Minimum reduzieren.

Mit dem Programm allesgurgelt.at können Betriebe für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern samt deren Familien zwei Gurgel-PCR-tests pro Woche pro Familienmitglied ganz einfach und unkompliziert machen, bei jeder BIPA Filiale in Wien abgeben und das Ergebnis verlässlich innerhalb von 24h per E-Mail bekommen. PCR wohlgemerkt, also der „Goldstandard“. Start-ups formieren sich rund um solche Ideen und versichern Skalierbarkeit bei Laborkapazitäten, niederschwellige Apps und so praktikable Wege zur Freiheit.

Was hindert die Regierung, diese Ansätze noch weiter auszurollen? Dass Wien das immerhin ankündigt, ist großartig. Mit diesen Tests könnten so flächendeckender Unterricht, Kultur, Gastronomie wieder geöffnet werden. Bei gleichzeitigem massivem Hinauffahren der Tests!

Die Erfahrungen des Herbsts zeigen, dass einer symptomatischen Welle eine asymptomatische vorhergeht. Unbemerkt. Mit dem massiven Ausweiten der Tests ab Jänner ist es bis dato gelungen, die asymptomatische Welle zumindest so zu dämpfen, dass der Anstieg nicht ähnlich exponentiell wie im Herbst verläuft. Warum nun auf halbem Weg den Mut verlieren?

Verhindert man so jede Infektion? Nein. Können wir so aber weiter leben? Nein.

Dem Staat und der Regierung steht es anhand der offensichtlichen Alternativen nicht mehr zu, die ganze Gesellschaft weiterhin ihrer Freiheit zu berauben, egal wie nobel die Intentionen dieser Maßnahmen auch sein mögen. Ausgangsbeschränkungen, Betretungsverbote und das Untersagen von Veranstaltungen können durchaus legale und notwendige Mittel in einer Pandemie sein. Jede dieser Maßnahmen muss allerdings sorgfältig begründet werden und verhältnismäßig sein. Und jedenfalls hätte die Regierung die alleroberste Aufgabe, nach sicheren Alternativen zu suchen und diese zu ermöglichen. So wie Impfen nicht an Bürokratismus, Föderalismus und Kleingeistigkeit scheitern darf, darf es auch nicht eine alternative Strategie zum Lockdown von Bildung, Kultur und Wirtschaft.

Bei allem Verständnis für Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz unserer Intensivstationen, so dürfen diese Maßnahmen aber nur in den Bereichen gesetzt werden, wo sie auch tatsächlich greifen, notwendig und auch rechtlich möglich sind. Die Herangehensweise der letzten Monate drehte die Beweislast auf den Kopf und sperrte vorsorglich alle gesellschaftlichen Bereiche zu. Es ist allerdings nicht die Aufgabe der Kulturschaffenden zu beweisen, dass sie sich ihre Freiheit wieder verdient haben, sondern es Aufgabe der Regierung darzulegen, weshalb Freiheiten beschnitten werden. Und alles andere zu unternehmen oder zumindest zu ermöglichen, was zur Freiheit führt.

Mit der Überzeugung nach der Unteilbarkeit der Menschenwürde und umfassender individueller Grund- und Freiheitsrechte haben die liberalen Bewegungen in den letzten 150 Jahren unsere Grund- und Freiheitsrechte in Verfassungen gegossen und ein rechtsstaatliches System zu deren Schutz errichtet. Heute stehen wir vor der großen Herausforderung, dass eine historische Pandemie eine gewisse Einschränkung dieser Rechte unausweichlich macht. Wir dürfen aber nie vergessen, dass die Freiheit die Norm ist und die Einschränkung die Abkehr. Freiheit ist kein Privileg, sie ist ein fundamentales Recht, das jedem Mensch zusteht.

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