Falsche Toleranz – richtige Toleranz? Ein Plädoyer für den Rechtsstaat.

„Richtern vorschreiben zu wollen, wie sie Gesetze auszulegen oder anzuwenden haben, geht gar nicht. Und die Polizei anzuweisen an bestimmten Stellen Schnellfahren nicht zu ahnden, geht auch nicht.“

Kürzlich äußerte sich der frisch gebackene Innenminister Herbert Kickl zu Vorfällen mit Tschetschenen in Wien, bei denen Polizisten verletzt wurden. Medial war Kritik geäußert worden, dass nur einer der Tschetschenen nach dem Vorfall in U-Haft genommen wurde. Kickl bemerkte, dass man „hier mit dem Ansatz einer falschen Toleranz nicht weiterkomme“. Er werde mit dem neuen Justizminister das Gespräch suchen. Schon riefen manche „Justizskandal“.

Ein paar Tage später meldete sich Kickl wieder in der Öffentlichkeit zu Wort. Diesmal ging es um Radarfallen. Hier müsse es eine „Wirkungsorientierung“ geben. Heißt: nur dort strafen, wo Schnellfahren gefährlich sein könnte. Ansonsten predigte Kickl Toleranz gegenüber Rasern. Den Ansatz einer richtigen Toleranz?

Österreich ist ein Rechtsstaat. Exekutive und Justiz haben sich an die Gesetze zu halten. In der Strafprozessordnung steht festgeschrieben, wann und auf Basis welcher Gründe die Untersuchungshaft verhängt wird. Und zwar auf Antrag der Staatsanwaltschaft, genehmigt durch ein Gericht. Die Tschetschenischen Schläger wurden angezeigt und sie erwartet ein Verfahren vor Gericht. Gut so.

Ist es eine Frage der Toleranz und zwar gar der falschen, wenn NICHT die U-Haft verhängt wird? Nein. Es ist simpel eine Frage der gesetzlichen Bestimmungen und ihrer Anwendung auf den Einzelfall durch einen Richter.

Und wie verhält es sich bei Verkehrssündern, die gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen? Zweifelsohne könnte man auch nirgendwo Radargeräte platzieren oder Geschwindigkeit messen. Aber wenn ich Rasern signalisiere, dass der Gesetzesbruch nicht geahndet wird, dann ist das rechtsstaatlich bedenklich. Das wäre jedenfalls ein Ansatz einer falschen Toleranz. Ärgern tu ich mich auch über ein Strafmandat, zu schnell gefahren bin ich dann aber ja wohl auch. Aus Sicht Kickls wäre meine Nichtbestrafung wohl aber eine richtige Toleranz.

Und nun kommen wir zum Kern des Problems: In einem Rechtsstaat ist es dankenswerterweise so, dass es nicht von der individuellen Moralvorstellung eines Ministers abhängt, wann gestraft oder in Haft genommen wird. In einem Rechtsstaat bestimmen das die Gesetze. Und in Österreich ist dank des Rechtspositivismus von Hans Kelsen das Gesetz, was der Gesetzgeber gesetzeskonform als solches beschlossen hat. Und das ist auch gut so. Was richtig und was falsch ist hängt nicht von der Laune Herbert Kickls ab. Passt ihm ein Gesetz nicht, so kann er seine Regierung davon überzeugen, einen Gesetzesvorschlag zu bringen, der das Gesetz abändern soll, und dem Nationalrat vorzulegen. Aber Richtern vorschreiben zu wollen, wie sie Gesetze auszulegen oder anzuwenden haben, geht gar nicht. Und die Polizei anzuweisen an bestimmten Stellen Schnellfahren nicht zu ahnden, geht auch nicht. Kickl würde damit seinen Willen über den des Gesetzes heben. Ersetzt man den Willen Kickls durch den Volkswillen bekommt man eine Ahnung wohin das führen kann. Ich sage: Nein danke. Kelsen und dem Rechtsstaat sei Dank.

1 Kommentare zu “Falsche Toleranz – richtige Toleranz? Ein Plädoyer für den Rechtsstaat.”

  1. christinedelnicki

    Mir aus der Seele gesprochen. Das Problem ist nur: diese Menschen sind an der Macht. Sie haben Macht über uns. Kann man noch von einem Rechtsstaat sprechen, wenn alle Gesetze, die vor/ nach dem Jahr 2000 beschlossen wurden, außer Kraft setzt? Glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass unser Rechtsstaat viel Zukunft hat. Ehrlich. Kann man noch vom Rechtsstaat sprechen, wenn 2100 zusätzliche (zusätzliche!) Polizisten benötigt werden um Ordnung zu halten in einem Land von 8,5 Millionen? Auch wenn die Finanzierung nicht feststeht? Die Finanzierung wird es geben, bekommen wir zu hören. In meinen Augen ist das ein Polizeistaat. Welche Art von Staat ist es, wenn totbringende Maßnahmen (Raucherschutz) gegen den eigenen (eigenen!) Beschluss der ÖVP außer Kraft gesetzt werden, trotz mehr als 430 000 Unterschriften? Ich will nicht in einem unfreien Polizeistaat leben. Ein solches Leben ist für mich nicht lebenswert. Die talentierten jungen Menschen werden sich schon umsehen und dorthin ziehen, wo sie bessere Bedingungen vorfinden. Die Mediziner sind ohnehin schon weg. Zurückbleiben wird ein Entwicklungsland, das nicht imstande ist, mit der Weltentwicklung mitzuhalten. Und die Welt wird nicht auf Österreich warten. Die FPÖ benimmt sich mit der Legislatur wie ein Neureicher. Aber diese Neureichen haben die Macht. Mir ist es bewusst, dass es Konsequenzen haben kann, meine freie Meinung zu äußern. Das nehme ich in Kauf, weil ich den Mund nicht halten kann bis zum letzten Atemzug. Sie können uns eine gewisse Zeit mundtot machen; sie haben die Macht. Aber der Homo sapiens denkt. Er kann nicht anders und er wird weiterhin denken.