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Plan Pink – Wien als Pionierregion für die mündige Schule

Österreich ist ein Land großer Bildungsreformer. Oder besser gesagt war. 

Etwa 250 Jahre ist es her, dass Kaiserin Maria Theresia die Schulbildung für alle anstrebte, die Unterrichtspflicht einführte und Volksschulen am Land etablierte. Vor 150 Jahren kämpfte Friedrich Dittes dafür, die Schulen aus der politischen und kirchlichen Umklammerung zu befreien. Er scheiterte am Widerstand von Klerus und Monarchie. Und bald 100 Jahre ist es her, dass Otto Glöckel den Gedanken der Chancengerechtigkeit durch Bildung ins Wiener Schulsystem brachte.

Was ist seither passiert? Erschreckend wenig. Die rot-schwarze Blockaderepublik sorgt auch für einen Totalstillstand in der Bildung. Das Maximum, zu dem sich SPÖ und ÖVP durchringen können, sind lauwarme Kompromisse wie die Neue Mittelschule. (Deren Scheitern wurde ja mittlerweile offiziell attestiert und sollte den Weg für konsequente Reformen öffnen, siehe auch Die Neue Mittelschule ist tot – es lebe die mündige Schule!). Österreichweit gibt es etwa 3.000 Schulversuche an 5.000 Standorten aber keine Bildungsreform, die diesen Namen verdient.

Wien ist seit über 70 Jahren sozialdemokratisch regiert. Da sollte man meinen, dass die Maxime „Chancengerechtigkeit durch Bildung“ in der Stadtpolitik oberste Priorität haben sollte. Hat sie aber nicht. Die SPÖ Wien hat hier den Abstiegskampf im Bildungsbereich offenbar schon aufgegeben. Ein Blick auf einige Zahlen verdeutlicht das: Favoriten hat gleich viele AHS wie die Josefstadt, obwohl Favoriten 7-mal so viele Einwohner hat. In Hietzing haben „nur“ 11,8 % keinen weiterführenden Abschluss. Unweit des 13. Bezirks in Rudolfsheim-Fünfhaus sind es fast dreimal so viele. Ebenfalls im Verhältnis 3:1 stehen Migrant_innen zu Personen ohne Migrationshintergrund bei der Zahl der Menschen mit lediglich Pflichtschulabschluss. Im „roten Wien“ wird Bildungsarmut ganz massiv vererbt und die Stadtregierung scheint schon die Waffen gestreckt zu haben. Hier geht es aber um viel: Wenn wir den nächsten Generationen keine Chancen bieten, dann bedeutet das einerseits viele tragische Einzelschicksale aber andererseits auch eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt, für eine gelungene Integration und nicht zuletzt für den Standort Wien.

Die SP Wien brüstet sich ja gerne mit ihrem Projekt „Förderung 2.0“, der so genannten Gratis-Nachhilfe an Wiener Schulen. Es ist ja an sich gut gemeint, wenn Wien nicht darauf warten will, dass die Bildungsblockade im Bund endlich aufhört. Aber wenn gleichzeitig etwa 1.000 Planstellen im Pflichtschulbereich fehlen und die Poolstunden (das sind jene Stunden, über die die Schulen autonom im Sinne von individueller Schwerpunktsetzung und Förderung verfügen können) gekürzt werden, dann heißt das, dass in Wien das Polit-Marketing Vorrang vor echter Problembehebung hat.

Was es bräuchte ist gerade mehr Autonomie am Schulstandort, um auf Neigungen, Begabungen und Talente der Schüler_innen sowie standort-relevante Faktoren eingehen zu können. Ich habe den Bürgermeister und alle amtsführenden Stadträtinnen und Stadträte daher heute in einem Mail zu unserer Version der „Gratis-Nachhilfe“ eingeladen. Mein Angebot ist durchaus ernst gemeint und aufrecht: Wir möchten in einen Dialog treten, wie Wiens Schulen durch mehr Autonomie um Klassen besser werden können.

Schulautonomie ist kein Selbstzweck und kann nur ein Baustein sein in einer grundlegenden Bildungswende von unten. Dazu zählt sicherlich auch ein Qualitätsschub für Kindergärten, die die erste Bildungseinrichtung sind, ein besseres Schnittstellenmanagement im Übergang zB von Kindergarten zu Volksschule und einem Ausbau von ganztägigen Schulen.

Schulautonomie heißt Autonomie in budgetärer, pädagogisch-didaktischer und personeller Hinsicht. Finanzielle Autonomie heißt, dass Schulen ein Globalbudget erhalten, über das sie verfügen können. Im Prinzip folgt das Geld dem Schüler/der Schülerin. Kombiniert muss diese Umstellung der Finanzierung auf so genannte Subjektfinanzierung werden durch eine indexbasierte Finanzierung – also einen „Sozialindex“ für Brennpunktschulen. Festmachen kann man das bspw. am höchsten Bildungsabschluss der Eltern: bei Pflichtschulabschluss und darunter bekommt die Schule mehr Geld.

Aber gerade auch die personelle Autonomie ist wesentlich will man endlich das einzige Buch, das in der Schule nichts verloren hat, verbannen: das Parteibuch.

Die Zeichen der Zeit deuten aber eindeutig in Richtung mehr Autonomie, in Richtung einer mündigen Schule. Auch von Seiten der Regierung gab es heute Ankündigungen.

Wir haben heute unseren Plan Pink vorgelegt, der Wien zum Pionier für die mündige Schule machen soll. Der Plan sieht 3 Phasen vor und soll in höchstens 10 Jahren den Weg für eine umfassende Schulautonomie in ganz Österreich ebnen:

Phase 1 – Eine Pionierregion in Wien wird eingerichtet

  • Auf Bundesebene müssen die Grundlagen für Schulautonomie und die Einrichtung einer Modellregion (Pionierregion) gelegt werden. Floridsdorf und Donaustadt könnten so zur Pionierregion für die mündige Schule werden. Warum hier? Es gibt zahlreiche verschiedene Schulformen, die Bevölkerung ist sozial sehr heterogen, vom Gemeindebau bis zum Reihenhaus ist alles vertreten.
  • Es werden Kriterien definiert, die Schulen erfüllen müssen, um autonome Pionierschulen zu werden. Daneben müssen Bildungsstandards definiert werden, die diese Schulen erreichen müssen.
  • Öffentliche und private Schulen können per Opt-In zu Pionierschulen werden. Die mündige Schule wird nicht über Nacht per Zwang verordnet, sondern soll von den Schulen als Chance wahrgenommen werden. Wir wollen eine Bildungswende von unten!
  • Die Pionierregion muss AHS und NMS umfassen, sonst stünde dasselbe Schicksal wie beim Experiment NMS ins Haus
  • Teilnehmende Schulen erhalten umfassende pädagogische, finanzielle und personelle Autonomie (s. auch Autonomiekonzept der überparteilichen Initiative „Talente Blühen“)
  • Flächendeckend muss es zumindest ein ganztägiges Schulangebot pro Schulstufe geben

Phase 2: Wiener Stadtschulrat wird vom Politbüro zur Serviceeinrichtung

  • Neues Selbstverständnis als Service- und Betreuungseinrichtung
  • Parteipolitik raus aus dem Stadtschulrat
  • Im Rahmen der Pionierregion: Definition von Bildungszielen, laufendes Monitoring, Coaching und Beratung für Direktor_innen, Evaluierung der Pionierregion nach 5 Jahren

Phase 3: Mittlere Reife – Bildungsabschluss für jedes Kind

  • Verschiedene Wege – ein Ziel: mit der Mittleren Reife wird ein formaler Bildungsabschluss für jedes Kind geschaffen am Ende der 8. (oder 9.) Schulstufe
  • Kein Kind darf ohne einen Abschluss aus der Schullaufbahn entlassen werden
  • Die Evaluierung der Pionierregion schafft eine Grundlage für die Definition der Mittleren Reife
  • Vernetzung von Hand, Herz, Hirn: Bildungsziele sollten neben den Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen auch motorische Fähigkeiten und die Persönlichkeitsbildung umfassen

Was wir hier anstreben ist nicht weniger als einen grundlegenden Mentalitätswandel 250 Jahre nach der Kaiserin Maria Theresia. Wir wollen weg von der Misstrauenskultur, wo die Politik jedes kleinste Detail im Schulbereich zentral verordnen will. Direktor_innen sind Führungskräfte mit großer Verantwortung und Lehrer_innen Professionalisten_innen, die den wichtigsten Job in diesem Land ausführen. Wir sind alle verschieden, jeder und jede kann was. Nur in einer mündigen Schule kann jedes Talent zum Blühen kommen. Nur in einer mündigen Schule mit einer Mittleren Reife können wir jedes Kind am Bildungsweg mitnehmen. Fangen wir in Wien damit an!

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