Ich bin schon einigermaßen verdutzt mit welch ideologischer Vehemenz die Präsidentin des Wiener Stadtschulrats Susanne Brandsteidl (SPÖ) heute in der Presse verpflichtende Ganztagesschulen für alle fordert.
Sie fordert ein Ende der Mitsprache von Eltern und Lehrern beim Ausbau der Ganztagesschule und will die Ganztagesschule als Regelschule für alle verpflichtend etablieren. Nicht ganz verpflichtend – Privatschulen sollen das halbtägige Angebot stellen. Wer also will, dass sein Kind zu Mittag nach Hause kommt, soll es in eine Privatschule schicken.
Das ist bemerkenswert aus vielerlei Hinsicht:
Zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung: ich selbst suche gerade eine Volksschule für meine ältere Tochter. Ich selbst hätte gerne eine Schule, die ganztägig ist. Ich finde in meinem unmittelbaren Umfeld keine öffentliche Schule, die einen verschränkten Unterricht bietet. Ich finde aber Privatschulen, die das tun. Mmmh… was soll ich jetzt machen? Stell Dir vor, dann kommt die verpflichtende Halbtagesschule für Privatschulen…
Vor allem in Bezug auf die Forderung der Ganztagsschule oft gebrachte Vorwurf „totalitärer Gesinnung“ ist parteipolitisch zwar leicht einzuordnen und dementsprechend noch nachvollziehbar, abgesehen davon aber ganz banal nur als lächerlich einzustufen – sachlich gesehen sogar peinlich!
Wer das Konzept Ganztagsschule ernsthaft fordert – und dazu gibt es genügen Expertise und vorgeschlagene Modelle – wird Vielfalt, Individualisierung und Entfaltungsmöglichkeiten als grundlegende pädagogische Qualitätskriterien festgelegen und die laufenden Prozesse der Qualitätssicherung danach ausrichten. Niemand will/braucht mehr die Schule wie sie derzeit nach wie vor größtenteils läuft bzw. gestaltet ist – und schon gar nicht ganztätige Formen davon. Wer von Ganztagsschule spricht, muss von einer grundsätzlich anderen Schule sprechen. Und was Zeitausmaß bzw. die von den Konservativen viel gepriesene „Wahlfreiheit“ betrifft, empfiehlt sich ein Blick in den gegeben schulischen Alltag. Ab der Sekundarstufe ist Unterricht im industrialisierten 50-minuten-Takt – ein Relikt, das wir längst hinter uns haben sollten – bis in den Nachmittag keine Seltenheit. Pädagogisch wertlos, für die SchülerInnen häufig eine u.a. wegen Eintönigkeit erschöpfende Qual und anschließend beim Lernen und Hausaufgaben machen vielfach auch noch eine Belastung für die Eltern.
Noch einmal: Ganztagsschulmodelle sind immer unter Aspekten der Qualität (das läuft auf Verschränkung Unterricht/Lernen/Freizeit hinaus) und Vereinbarkeit Familie/Schule/Beruf zu diskutieren. Nimmt man das ernst, kann sich die Lage im vergleich zum jetzigen System nur verbessern.
Zur Versachlichung der Diskussion:
Ein Blick nach Deutschland: http://www.sueddeutsche.de/bildung/ganztagsschulen-in-deutschland-studie-fordert-deutlich-mehr-nachmittagsbetreuung-1.1738532 Dass auch in Österreich hoher Bedarf gegeben ist, wird alleine daran ersichtlich, wie der Ausbau der Angebote angenommen wird: in den letzten fünf Jahren ein Anstieg von 70.000 SchülerInnen in ganztägigen Schulangeboten auf 120.000.
„Experten: Ganztagsschule sollte die Regel sein“: http://oe1.orf.at/artikel/350367
(Werfen Sie denen, die hier zu Wort kommen, auch „totalitäre Geisteshaltung vor?)
Sehr geehrter Herr Kreiml,
ich denke, Sie haben meinen Bogpost nicht richtig gelesen. Denn ich bin sehr wohl eine Befürworterin von Ganztagesschulen und denke auch, dass es hier einen massiven Ausbau geben muss (wir NEOS fordern, dass es an jedem Schulstandort zumindest eine ganztägige Klasse geben soll). Zudem schreibe ich gerade, dass diese Schulen neu gedacht werden müssen. Gerade die verschränkte Form halte ich für sehr psannend, aber das bedarf nicht einer Verpflichtung an allen Schulstandorten sondern zuerst einmal auf die Qualität schauen. Bewegungsräume, Rückzugsräume – das alles ist nicht ausreichend gegeben. Ich bitte darum, zuerst die Schulen zu verbessern, damit die auch in der erforderlichen Qualität das Angebot bieten können. Ebenso wie Sie halte ich einen Unterricht im 50-Minuten-Takt für überholt. Und dennoch: ich stoße mich an der Verpflichtung und der Aussage, dass, wenn man das als Elternteil nicht möchte, man sein Kind doch bitte in eine Privatschule schicken möge. Das habe ich – denke ich – ausführlich dargelegt. Tappen Sie bitte auch nicht in die Falle einer schwarz-weiß-Malerei, sondern lesen Sie bis zum Schluß. Da lege ich offen, dass ich mir für mein Kind eine solche Schule wünsche. Und: die Möglichkeit, differenzierter Betrachtungsweise würde sich schon auch bieten, wenn man den Kommentar der Experten in dem von Ihnen aneführten Ö1 Beitrag liest: über den Abstimmungsmodus kann und muss man tatsächlich diksutieren. Das glaube ich auch.
Liebe Beate, der Link zur Presse funktioniert nicht – weil „beatemeinl.com“ im Link vorkommt… … zur Anmerkung 😉