Europa als Spielball im Wahlkampfgetöse – nun auch bei der ÖVP

Die ÖVP will also die Macht der EU eindämmen. So verkündet das Reinhold Lopatka in der Presse. Eine europäische Zusammenarbeit mache in gewissen Bereichen „einfach keinen Sinn“, klagt Lopatka und führt beispielhaft das Thema Arbeits- und Sozialpolitik an.

Der ÖVP-Staatssekretär springt damit auf den gemütlichen Bummelzug der Cameron’schen Renationalisierungsdebatte auf. Auch der Niederländer Mark Rutte sitzt im gleichen Zug – ebenfalls nicht gerade eine Speerspitze pro-europäischer Haltung.

Doch auch Angela Merkel ließ letzte Woche aufhorchen als sie anmerkte, ob man nicht überlegen könne Kompetenzen wieder zurück an die Nationalstaaten zu geben.

Gleich vorweg: ich begrüße eine grundlegende Diskussion um die Kompetenzverteilung in der Europäischen Union. Vor allem deshalb, weil ich der Meinung bin, dass ein grundsätzlicher und ehrlicher Diskurs zur Zukunft der Europäischen Union dringend notwendig ist. Nicht nur Visionen sind derzeit kaum zu finden, die europäische Politik ist hauptsächlich reaktiv und von primär nationalem Wunsch- und Besitzdenken getragen. Gleichzeitig kann aber auch gerade die EU-Kommission nicht aus ihrer europapolitischen Verantwortung entlassen werden: So manche Abteilung der Kommission – offenbar in einer Endlosschleife der permanenten Selbstlegitimation gefangen – hätte den einen oder anderen Vorschlag wohl besser gelassen.

Es ist also durchaus begrüßenswert, wenn eine Diskussion angestoßen wird. Allerdings muss man immer auch auf die Motive und Absichten der handelnden Personen schauen. Im Falle von David Cameron erfolgt der Vorstoß klar aufgrund des zunehmenden Drucks des Anti-EU-Flügels innerhalb seiner Partei und aus dem Wunsch heraus, Brüssel zu schwächen. In einer ähnlichen Situation befindet sich Mark Rutte, getrieben von der EU-kritischen Partei Geert Wilders (der erst dieser Tage erneut mit HC Strache zusammentraf). Wie sehr es bemerkenswert sein mag, dass die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union fast ausschließlich von EU Gegnern vorangetrieben wird, so wenig sollten wir das akzeptieren!

Engstirnigen Nationalismus kann man Angela Merkel nun sicher nicht unterstellen, zudem sie mehrfach betont hatte, dass sie gerade nicht in eine Renationalisierungsdebatte habe einsteigen wollen, sondern vielmehr ausdrücken wollte, dass europäische Fortschritte auch in kleineren Kooperationsschritten getätigt werden könnten. Siehe auch: http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/grossbritannien-london-treibt-eu-debatte-voran-12534801.html

Die EU-Skepsis in der Bevölkerung ist groß. Grund genug für einige Parteien in den populistischen Chor der EU-Gegner einzusteigen. Ob das Themen wie EU-Austritt, Euro-Austritt oder gar ein ‚ Nationaler Euro‘ sind: FPÖ, BZÖ und auch das Team Stronach reiten die Welle.

Nun auch – dosierter aber doch – die ÖVP. Wir erinnern uns: die Europapartei.

Schauen wir uns die Aussagen doch näher an: Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik: Das vereinte Europa baut auf dem Gedanken der Grundfreiheiten auf. Eine dieser Grundfreiheiten ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, also die Möglichkeit und das Recht der grenzüberschreitenden Mobilität der Arbeitskräfte. Allein diese Grundfreiheit macht europäische Antworten zu drängenden Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik unumgänglich. Lopatka aber reduziert das Thema allein auf das Einkommensniveau. Das ist populistisch. Fragen wie grenzüberschreitende Pensionsmitnahme oder die Anerkennung von Berufsausbildungen und -abschlüssen sind aber von immenser Bedeutung für diese Mobilität! Bei einer wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise teilweise enorm hohen Jugendarbeitslosigkeit (Beispiel Spanien) zeugt es von einem peinlichen Mangel an europäischer Solidarität, gerade hier nach Renationalisierung zu rufen!

Trotzdem muss man auch an dieser Stelle klar darauf hinweisen, dass die Beschäftigungspolitik eben nicht vergemeinschaftet ist, sondern von den EU-Mitgliedstaaten ’nur‘ koordiniert wird. Das heißt im Klartext: das Heft ist und bleibt weiterhin in der Hand der Nationalstaaten und vor allem der Regierungen (genau wie beim Wasser, übrigens…).

Lopatka spricht von dem Wunsch, dass die demokratische „Legitimität“ von Kommission und Parlament gestärkt werden sollen. Wunderbar! Wir stellt er sich das vor?

Reicht eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten hier aus? Würden wir begrüßen, aber sonst?

Ihm wird doch als Staatssekretär nicht entgangen sein, dass die demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments vollständig vorhanden ist. (demokratische Direktwahl, Mitentscheidung in fast allen Bereichen). Vielleicht hakt es eher am demokratischen Respekt, den auch österreichische Regierungsvertreter dem Europäischen Parlament bisweilen entgegen bringen?

Konkrete Verbesserungen wären zum Beispiel ein Initiativrecht des Parlaments, also die Möglichkeit, Gesetze selbst auf den Weg bringen zu können. NEOS würde ein solches Initiativrecht begrüßen!

Auch möglich wäre eine weitere Ausdehnung der Mitentscheidung – das würde aber Bereiche betreffen, in denen nach wie vor Einstimmigkeit aller 28 EU-Staaten im Rat notwendig ist – zum Beispiel in der von Lopatka angeführten Sozialpolitik oder, ein wirklich spannendes Thema, in der Steuerpolitik. Darüber kann und sollte man diskutieren!

Noch ein Punkt: Das Subsidiaritätsprinzip strenger einhalten: Gerade mit dem Vertrag von Lissabon wird hier den nationalen Parlamenten eine besondere Aufgabe in der Subsidiaritätskontrolle zugewiesen. Sie können und sollen Alarm schlagen, wenn durch einen Gesetzesvorschlag dieses wichtige Prinzip verletzt wird. Allzu oft hat Österreich nicht davon Gebrauch gemacht und es hat auch keine Beschwerde die notwendige Schwelle sich beschwerender nationaler Parlamente erreicht. Es ist so, dass Mehrheitsentscheidungen nicht immer im Interesse Österreichs und sicher schon gar nicht im Sinne der ÖVP getroffen werden.

Das Fazit:

Einen Konvent unter Beteiligung von nationalen Parlamenten, dem Europäischen Parlament und vor allem auch Bürgerinnen und Bürgern einzuberufen, um über die Zukunft der EU zu diskutieren und eine sinnvolle Reform der EU-Verträge zu beschließen, ist unentbehrlich. Entbehrlich hingegen ist es, eine Renationalisierungsdebatte über EU-Kompetenzen als reines Wahlkampfgetöse anzuzetteln – noch dazu auf derart einfältige Weise ohne Tiefgang.

Die selbsternannte Europapartei ÖVP zeigt einmal mehr auf, dass gerade dann, wenn der Fokus auf parteipolitischen Interessen liegt – wie in einem Nationalratswahlkampf – ihre proeuropäische Haltung schnell zugunsten populistischer EU-Kritik über Bord geworfen wird. Europapolitik ist damit im schlechtesten Sinne in der österreichischen Innenpolitik und ÖVP-Parteipolitik angekommen.